Frau Meckel: Soll ich näher ran? Ja, ich muß das noch üben! Das bin ich auch nicht gewohnt. Ist das jetzt besser? (Gelächter, Ja - Rufe, Klatschen) Noch näher?

Herr Feldmann: Ist das ausreichend?

Frau Meckel: Können Sie mich jetzt verstehen? (Ja - Rufe) Großartig!

Herr Feldmann: Entschuldigen Sie bitte Frau Meckel. (Ruhe)

Frau Meckel: Ja,  kommt jetzt noch was?

Wir sind hier in einer Kirche und wir möchten diese Versammlung beginnen, indem wir versuchen etwas ruhig zu werden und auf die Glocken zu hören. Ich bitte, daß jetzt die Glocken angeschaltet werden (Ruhe, Gerede, Glocken läuten im Hintergrund (ca. 2 min)) . . . .

Liebe Versammelte, als Pastorin einer der beiden evangelischen Ge­meinden unserer Stadt begrüße ich sie zu einer Versammlung, die eigentlich nicht hierher in die Kirche, sondern ins Rathaus oder ins Klubhaus gehört. (Klatschen)

Weil es dort zur Zeit, und das betone ich, noch nicht möglich ist, haben wir unsere Kirchentüren weit geöffnet für alle, die in unserem Land bleiben und dort Veränderungen bewirken wollen. Wie ich vorhin hörte, ist der katholische Pfarrer bereit, für eine nächste Zusammenkunft die größere katholische Kirche zur Verfügung zu stellen. (Klatschen)

An meinem Trabi habe ich einen Spruch „Bleibe im Lande und wehre Dich redlich“ (Klatschen). Was in diesen bewegten und be­wegenden Tagen geschieht, macht uns betroffen, macht uns zornig, macht uns Angst,  aber macht uns auch Hoffnung. Und diesen unseren Gefühlen möchten wir hier Ausdruck verleihen. In Zeugnissen der Betroffenheit und in Zeugnissen der Hoffnung. Der heutige Abend wurde vorbereitet von einer kleinen Gruppe von Bürgern. Die Fragen und Rufe danach waren überlaut zu hören und wir haben sie aufgenommen. Friedensgebet für Land und Leute, Besinnung, Information, Dialog, so könnten wir diesen Abend übersetzen.

Vorab was wir nicht wollen: Wir möchten kein Öl ins Feuer gießen, nichts und niemanden zu Gewalt provozieren, wir möchten keine Gewalt ausüben und keine Gewalt erleiden müssen. (Klatschen ) Wir haben gespürt und verstehen es, daß Ungeduld und Enttäuschung groß sind. Zu lange wurde geheuchelt, gelogen, geschwiegen. Das Faß ist am Überlaufen, trotz aller Hoffnungszeichen. Wir können nicht in 40 Tagen verändern, was in 40 Jahren versäumt wurde, aber wir wollen nicht noch weitere 40 Jahre warten. (Klatschen)

Für den Ablauf des Abends haben wir uns folgendes gedacht: Zunächst möchten wir in einem Gebetsteil unseren Klagen, Ängsten und Hoffnungen Ausdruck verleihen. Dazu kann sich jede und jeder an einem der Mikrofone äußern, wenn er heran kommt. Wir bitten darum, dies offen und ehrlich, aber ohne Haßparolen zu tun, die helfen uns nicht weiter. (Klatschen) Zwischen den einzelnen Aussagen laden wir ein, einen Gebetsruf mit uns zu singen: Herr erbarme Dich. Wir möchten keinen Nichtchristen zwingen, gegen seine innere Überzeugung einzustimmen. Wir bitten darum, diesen Ausdruck unseres Glaubens zu akzeptieren und zu tolerieren. (Klatschen)

Nach der Auslegung eines Bibelwortes wird die Gestaltung des 2. Teils von einigen Vertretern des Neuen Forums übernommen. Sie wollen ihre Ziele und Absichten klarlegen, Vorschläge zur Weiterarbeit machen und zur Diskussion ermuntern. Ein Vorletztes: Mancher mag her gekommen sein, angeregt durch die Zeilen aus anderen Städten, mit dem Wunsch,  anschließend demonstrierend auf die Straße gehen zu können. Im Vorbereitungskreis haben wir es mitbedacht und Argumente dafür und dagegen gehört. Wir wollten das nicht für Sie entscheiden, sondern Sie bestimmen lassen, ob und wie das heute an diesem ersten Abend in Thale sinnvoll wäre, ohne Mißverständnisse zu produzieren, zu provozieren. Dazu soll es gegen Ende des Abends eine kurze Diskussionsrunde geben. Falls es dazu kommt, haben Vertreter des Rates des Kreises mir heute Vormittag zugesagt, für eine reine verkehrspolizeiliche Regelung zu sorgen. (Klatschen)

Ein Letztes: Wer die Kirche kennt, weiß, da wird immer Geld am Ausgang gesammelt. Wir wollen das auch tun und zwar wie am letzten Donnerstag in Quedlinburg für einen Fonds für gesellschaftliche Diakonie, das heißt für alle Leute, die wegen ihres gesellschaftlichen Engagements in Nöte geraten sind. Und jetzt bitte ich diejenigen, die es mitvollziehen können, den Gebetsruf „Herr erbarme dich“ mit uns einzuüben. (Stille)

Hartmut Berger: Mich macht betroffen, daß es nicht möglich war, die Plakate, die wir in Thale aufgehängt hatten, auch nur eine einzige Nacht hängen zu lassen. (Klatschen) Sie wurden abgerissen, von wem auch immer. Erregt dieser völlig harmlose Text, ich weiß nicht, wie weit sie über den Text informiert sind, solches Mißtrauen? Mißtrauen macht mich schlimm betroffen. Sollte man Menschen nicht über Dinge reden lassen, die sie bewegen? Auch spontan, auch unbefangen, sachlich, wenn für viele noch neu und holprig und doch vor allem auch friedlich. Dieses Mißtrauen steckt sehr tief.

Einige Beispiele: Warum brauchen wir eine Kampfgruppe, oder besser gesagt, warum braucht die SED eine Kampfgruppe? (Klatschen und Pfeifen) Wo sie sich doch an dem Willen des Volkes nach ihren Buchstaben verpflichtet fühlt. Hoffnungsvoll in diesem Zusammenhang stimmt mich, daß immer mehr Leute in diesen Reihen beginnen, an ihrer Aufgabe zu zweifeln. Wir brauchen Vertrauen und keine Knüppel. (Klatschen) Betroffen macht mich der absolute Führungsanspruch der sozialistischen Einheitspartei (Klatschen). Sie ist eine demokratische Kraft, das möchte ich hier betonen, aber nicht die einzigste (Klatschen).

Hoffnungsvoll stimmen mich neue Töne von verantwortlichen bewußten Funktionären, die den demokratischen Pluralismus in der DDR nicht mehr ausschließen, wie zum Beispiel Herr Modrow und Herr Berghofer aus Dresden (Klatschen). Wer Politik in der DDR meint, kommt dabei um die SED nicht herum. Sie ist notwendig, sie ist wichtig und sie ist völlig legitim, aber sie ist nicht das Maß aller Dinge an der sich jeder einzelne täglich messen lassen muß (Klatschen). Ich fordere, und das fordere ich nicht für mich alleine, ein neues Wahlsystem im Miteinander aller demokratischen Kräfte, und was ich jetzt sage, sage ich bewußt: Zum Wohle unserer Republik (Klatschen).

Mein Name ist Peter Knopf und ich bin aus Thale (Klatschen). Ich bin sehr betroffen über ein Gespräch, zu dem die beiden Gemeindekirchenräte von Thale von den evangelischen Kirchen vorige Woche ins Rathaus eingeladen wurden. Da hat sich die ganze Prominenz unserer Politiker aus dem Kreise zusammengefunden und wollte einen offenen Dialog mit uns führen. Bloß, von Dialog war da absolut nichts zu spüren. Uns wurde ganz einfach gesagt und mitgeteilt, daß eben an dieser Machtstruktur der SED nichts zu rütteln ist, und da bin ich dagegen, total (Klatschen).

Es gab auch Töne von freier Presse und Pressefreiheit überhaupt , und da gab es eine Journalistin von der „Freiheit“, die da war und die uns dann erklärte, daß sie eine marxistische Journalistin ist  und doch an ein Parteiorgan ihre Artikel schreibt. Ich weiß nicht, wo da der freie Journalismus in der DDR bleibt, wenn sie nur  immer wieder die Sachen der SED vertritt und nicht uns, was uns bewegt (Klatschen).

Ich kenne seit gestern Abend einen anderen Journalisten in der DDR, der die Einsicht zur Notwendigkeit fand und seine Sendung im ersten Programm aufgab (Lachen, Klatschen, Pfeifen) Sie wissen, wen ich meine, ja? (Lachen) Ja, also über dieses ganze Gespräch war ich eben sehr betroffen, weil ich gemerkt habe, es kommt kein offener Dialog und deshalb find ich´s wunderbar, daß Sie jetzt hier demonstrieren. Wir wollen einen offenen Dialog. Danke. (Klatschen)

Ich heiße Mildred und bin 14 Jahre alt. Es macht mich traurig, wenn sich Schüler nicht für die Veränderung in ihrem Land interessieren. Wenn sie Angst haben, ihren Standpunkt zu verteidigen, da sie fürchten, Schwierigkeiten zu bekommen. Es macht mich ärgerlich, wenn Lehrer unsere Meinungen über politische Fragen nicht akzeptieren, wenn sie nicht ihren Vorstellungen entspricht. Ich ärgere mich darüber, daß Lehrer Schüler beleidigen können, ohne daß sie sich entschuldigen müssen. Wir müssen das ja auch. (Klatschen)

Mein Name ist Dombrowsky, ich komme ebenfalls aus Thale. (Klatschen). Mich persönlich . . . (Ein anderer Mann spricht dazwischen:  Darf ich mal unterbrechen. Hier draußen rufen viele: Lauter.)

Horst Dombrowsky: Also noch mal: Mein Name ist Dombrowsky, ich komme aus Thale.

Anderer Mann: Ist das dort hinten zu verstehen? (Nein-, Ja Rufe) Danke! (Gelächter)

Christa Ziesche ruft dazwischen: Moment, ich habe auch noch etwas. Ich dachte, wir wollten den Gebetsruf nicht vergessen zwischen den einzelnen Beiträgen. Vielleicht wird das vorne auch mal beachtet.

Frau Meckel: Wir hatten das so verabredet. Ich habe da am vergangenen Freitag bei der Kirchenleitung von einem bedeutenden Kirchenmann das Wort gehört, das Klatschen ist der Gebetsruf der Nichtchristen. Ich glaube, wir müssen damit leben, und ich kann es jedenfalls auch, daß wir hier überwiegend Nichtchristen in der Kirche haben. (Klatschen)

Horst Dombrowsky: Mich macht betroffen, daß nahezu hunderttausend DDR-Bürger das Land verlassen haben. Mich macht betroffen, daß beim Weggehen vieler Menschen sie ihr Leben lassen mußten, aus welchen Gründen auch immer. Ich bin betroffen und ich fühle mich schuldig, weil ich nicht schon früher gegen diese Mißstände angekämpft habe, die manchmal auch unmenschlich gewesen sind. (Klatschen) Ich bin betroffen, weil vielleicht auch zu dieser Zeit und Stunde Menschen unser Land verlassen, die die Hoffnung auf eine Wende, auf eine positive Wende, aufgegeben haben. Ich bin betroffen über die Ankündigung der Medien, Politik in unserem Lande zu verändern, um wahrheitsgemäß zu berichten. In der „Freiheit“ werden Lesermeinungen nicht wahrheitsgemäß wiedergegeben. So auch in meinem Fall. In einer „Freiheit“ - Ausgabe vom 28.10.1980. Es wurde nichts verfälscht wiedergegeben, aber die wesentlichen Passagen meines Artikels wurden einfach unter den Tisch gekehrt. In diesen Passagen ging es mir darum, klar herauszustellen, wer für diese Mißstände in diesem Land verantwortlich ist. Ich hab deutlich gemacht, daß die Mißstände nicht auf die schlechte Arbeitsleistung unserer Arbeiterklasse zurückzuführen sind, sondern (Klatschen), daß einzig und allein die staatlichen Leiter und die Funktionäre dieses Staates dafür verantwortlich zu machen sind. (Klatschen) Ich forderte in diesem Arti­kel, dieses klar heraus zu stellen. Weil staatliche Leiter Pläne manipulierten, aus welchen Gründen auch immer, sei es aus Bequemlichkeit, sei aus Unfähigkeit. Und ich muß leider sagen, bei manchen staatlichen Leitern war das Studium nicht nur kostenlos, sondern auch umsonst. (Jubel, übertönender Beifall)

Ich habe in diesem Artikel weiter gefordert, daß man sich von solchen staatlichen Leitern oder Funktionären trennt, die Kenntnisse von Mißständen (Beifall) abgaben und nichts zu deren Beseitigung unternommen haben. Ich lese noch weiter. Ich verlange und ich fordere, daß man sich wirklich nicht nur auf der Ebene von ZK-Beschlüssen oder von Mitglieder im ZK der SED trennt, die sich nicht bewährt haben, sondern daß dies generell auf der unteren Ebene zur Anwendung gelangt (Beifall). Es gibt nicht wenige staatliche Leiter -  und wer sich in seinem Betrieb umguckt, wird das bestätigen -  die sich nach kapitalistischen Grundsätzen verhalten haben: nämlich gesellschaftliche Produktion und private Aneignung (Beifall). Wer Reformen will, muß sich dazu bekennen. Wer sich in seinen Betrieben umguckt, wird sehen und wird bestätigen, daß sich in dieser Richtung kaum etwas getan hat (Beifall). Es stimmt mich aber auch hoffnungsvoll, das soll hier nicht verschwiegen werden, daß es auch in den Reihen der SED Politiker wie Günter Schabowsky, Hans Modrow gibt, die sich zum offenen Dialog auf allen Ebenen ohne Tabus bekennen. Und mit solchen Leuten (Beifall) können wir wirklich voran kommen. Ich danke! (Beifall)

Frau Meckel: Ich möchte jetzt hier abbrechen, weil ich auch an diejenigen denke, die stehen müssen und keinen Sitzplatz erhalten haben. Zeugnisse der Betroffenheit und Worte der Hoffnung haben wir gehört, und wir sind selber Betroffene und Hoffende. Nicht nur weil wir in einer Kirche sind und weil ich Pastorin bin, sondern weil ich es für hilfreich und sinnvoll für uns alle halte, möchte ich einige Gedanken zu einem Wort aus der Bibel weiter geben. Aus einem Buch, in dem über 2000 Jahre alte Menschheitserfahrungen zusammengetragen sind.

Ganz am Anfang steht die gleichnishafte Erzählung von der Erschaffung der Erde und darin ein Satz: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zu seinem Bilde schuf er ihn. Die Doppelung unterstreicht, was gesagt werden soll. Das Geschöpf, der Mensch, ist dem Schöpfer gleich, ähnelt ihm, mutet ihm Verantwortung und eigene Schöpfungsmöglichkeit zu. Der Mensch, die Krone der Schöpfung, was ist daraus geworden? Was haben wir daraus machen lassen und was haben wir daraus gemacht?

Ein Kennzeichen des Menschen ist der aufrechte Gang, der erhobene Kopf, die freien Hände. Haben wir sie genutzt, gebraucht, eingesetzt, zur Verfügung gestellt für das allgemeine Wohl und Wehe oder sind wir gesenkten Kopfes herum gelaufen, gebückt, die geballten Fäuste in der Hosentasche? Nur nach innen mit den Zähnen knirschend, den Verstand zum Schweigen verurteilend, die eigene Schöpferkraft vergammeln lassend? Haben wir nicht alle heimlich, still und leise unser ganz privates Schäfchen ins Trockene gebracht, Beziehungen ausnutzend und ausbauend, uns mit Ungerechtigkeit  arrangierend?

In diesen Tagen endlich werden zu Recht Vorwürfe laut gegen jene, die an der Macht waren und dies mißbrauchten. Die sich in die eigenen Taschen logen, ob bei den angeblichen Produktionserfolgen und bei den Wahlen. Die heuchelten (Beifall). Die heuchelten und den Kopf in den Sand steckten vor den Realitäten unseres Alltags.

Am vergangenen Donnerstag waren wir in Quedlinburg zusammen und staatliche Verantwortliche hatten vorher geschätzt, es würden 50 bis 200 Leute kommen (Gelächter). Aber haben wir das Recht mit dem Finger auf sie zu zeigen und ihren Rücktritt zu fordern, ohne selbst zu fragen: Und wir? Haben wir nicht mitgelogen, mitgeheuchelt, mitgeschwiegen und mitgewählt  - wider besseren Wissen? Haben wir nicht in zwei Welten gelebt? Tagsüber in der DDR und abends im Westfernsehen? (Beifall)

Wer hat den Kindern beigebracht, gespalten zu leben? Ihnen vorgeschrieben, was sie in der Schule und was sie zu Hause zu sagen haben? Mit Trauer und Zorn erinnere ich mich an die Gespräche mit Jugendlichen, die nicht zur Jugendweihe gehen wollten, aber die Eltern sagten: Verdirb dir nicht die Zukunft, halt den Mund. Das alles aus dem guten Wollen heraus. . . (Beifall) um der Kinder willen.

Liebe Versammelte, um der Kinder willen hätte eben dies nicht geschehen dürfen. (Beifall) Denn sie sind es, die jetzt enttäuscht und hoffnungslos zu Zehntausenden unser Land verlassen haben.

Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, er schuf ihn aufrechten Ganges, ausgerüstet mit klarem Verstand, Fähigkeiten, Phantasie und Begabung. Was haben wir  - Nichtchristen und Christen -  daraus gemacht? Ich will klagen über die Zustände in unserem Land, aber nicht nur die anderen anklagen. Wir alle sind mitverantwortlich, mitschuldig und können das Versagen nicht auf einige wenige abwälzen. Und deshalb möchte ich hier nicht Haß predigen, sondern Nachdenken über uns, über die Umkehr aus alten Verhaltensmustern.

Umkehr ist nötig und sie ist möglich, das sagt uns nicht nur die Bibel, das zeigt uns die Gegenwart. Noch vor wenigen Tagen hätte man mich fesseln müssen, damit ich mir die „Aktuelle Kamera“ ansehe . . .  . (Gelächter, Beifall) Jetzt weiß ich oft nicht mehr, welchen Kanal oder welchen Sender ich eingestellt habe. Vor wenigen Tagen habe ich eine Tageszeitung in wenigen Minuten gelesen, jetzt komme ich nicht mehr mit. Und gestern Abend bin ich in Magdeburg dabei gewesen, als 50 bis 60 Tausend Menschen in einem Schweigemarsch durch die Innenstadt marschierten und bin hinter einem Plakat hergelaufen auf dem stand: „Schnitzler in die Muppet - Show“ -  und heute ist er weg. (Gelächter, Beifall)

Sicher, Mißtrauen ist berechtigt und vorhanden.  In den „Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten“ - also einer DDR-Zeitung - habe ich folgendes gelesen: Wir müssen uns jetzt hüten vor jenen listigen Opportunisten, die in letzter Sekunde auf den Dialogzug aufspringen, und nun schon wieder aus dem Lokführerstand lauthals verkünden, daß sie doch schon immer dafür gewesen sind. (Beifall, Bravo - Rufe, Pfeifen)

Sie klatschen zu früh, das Zitat ist noch nicht zu Ende. Es geht weiter: . . Man kann die Leute erkennen, man muß sie nur fragen, wofür sie schon immer waren und vor allem nach ihren Zielen, dann bleiben sie meistens sprachlos, denn sie waren zu lange gehörlos. (Beifall) Das ist so und vor denen müssen wir uns wirklich hüten und gesundes Mißtrauen bewahren. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen und das gilt auch für uns und unsere Taten. Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, aufrecht, ehrlich, frei. Lassen sie uns alle - Nichtchristen und Christen - dem endlich entsprechen und ein letzter Satz:

Ob dieses erste Gebet für Land und Leute in Thale zufällig auf den 31. Oktober fiel, weiß ich nicht. Heute ist ein kirchlicher Feiertag, Reformationstag. (Beifall) Reformation ist ein Fremdwort, das heißt auf deutsch Erneuerung. Lassen sie uns gemeinsam unser Land erneuern, nicht nur tapezieren, sondern reformieren. Amen. (Beifall)

Wir hatten uns eigentlich vorgenommen an dieser Stelle zu singen, und zwar das Lied: „ We shall over come“. Meinen sie, daß wir das probieren können?. (Beifall, Gerede, eine Männerstimme stimmt das Lied an und alle singen mit, Beifall)

 

Peter Knopf: Ich würde gern mal bitten für hier drin, vielleicht können Leute, die jetzt sitzen, die Plätze tauschen mit einigen Leuten, die stehen. (Rufe im Hintergrund) Auch ihr wollt da nicht sitzen, oder wie? Gut! (Gerede) Sehr viele Leute haben uns immer wieder angesprochen und wollten Informationen haben über´s Neue Forum. Diese Informationen gibt es jetzt. (Beifall)

Horst Dombrowsky: Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger von Thale, ich möchte sie jetzt bitten, durch ihren Beifall zu bekunden, oder auch nicht (eine andere Stimme: Bitte ein bißchen mehr ans Mikro) ob wir für Thale die Gründung des Neuen Forums beantragen sollen. (großer Beifall) In dem Zusammenhang ist es natürlich wichtig für alle, die hier sitzen (eine Männerstimme ruft: Peter)

Hartmut Berger: Es ist wichtig für alle, die hier sitzen und da draußen vor dem Platz stehen, was will eigentlich das Neue Forum? (eine Männerstimme: Peter darf ich dich mal unterbrechen?) Ja ungern. (Feldmann: Verstehst du mich, hier draußen waren einige Pfiffe zu hören, falls diese Pfeiftöne eine Gegenstimme dagegen sein sollten. Habt ihr irgendeine Form vorbereitet, daß diese Neinstimmen oder Gegenmeinungen irgendwie zum Ausdruck gebracht werden.) Ich würde Pfiffe nicht immer als Gegenstimme werten, das vorweg und jetzt ist die Zeit nicht  - (im Hintergrund Ja-Rufe) nachher ist eine Diskussion. (Beifall)

Das Neue Forum will den Dialog als gleichberechtigter Partner auf allen Ebenen, das bedeutet erstens die Zulassung des Neuen Forums und aller Basisgruppen, Parteien und Initiativen, die sich für die Demokratisierung der Gesellschaft einsetzen. (Beifall) Zweitens. Zugang zu den Medien. (Beifall) Drittens. Pressefreiheit und Abschaffung der Zensur. (Beifall) Viertens. Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. (Beifall) Ziel dieses Dialoges ist eine Weiterentwicklung der sozialistischen Gesellschaft und der Demokratie der DDR. (Beifall) Das Neue Forum will nicht die Aufhebung der Zweistaatlichkeit und  die Wiedervereinigung Deutschlands. (Beifall) Die Wiedereinführung des kapitalistischen Gesellschaftssystems. (Beifall)

Peter Knopf: Als weiteres für Thale haben wir uns gedacht, daß sie sich bitte, die konstruktiv mitarbeiten möchten, sich bis zum nächsten Treffen überlegen, in welcher Rubrik, also ich gebe ein paar vor. Das wäre zum Beispiel die Volksbildung, wo jemand was verändern möchte. Der kann sich nächste Woche bei einer Arbeitsgruppe dann hier melden. Oder Wehrgesetz, Rechtsstaatlichkeit, Handel und Versorgung, da sollen dann Arbeitsgrup­pen gebildet werden, wo man wirklich ganz konstruktiv arbeiten kann. Findet das ihre Zustimmung? (Ja - Rufe, Beifall)

Als weiteres: Vom Neuen Forum bei uns im Kreis Quedlinburg findet am Donnerstag, dem 2. 11., in Quedlinburg um 19.30 Uhr, in der Nikolaikirche, ein Fürbitt - Gottesdienst statt. Danach ist eine Demonstration, eine angemeldete Demonstration. Und noch etwas dazu, sie wurde heute Nachmittag vom Rat des Kreises und von der Volkspolizei genehmigt. (Beifall, Jubel- Rufe) Als weiteres wird vom Neuen Forum . . . (eine Frau ruft dazwischen) Nein, jetzt kommt hier noch mal die Frage. Die nächste Veranstaltung in Quedlinburg ist am 2.11., um 19.30 Uhr. (Gerede)

Des weiteren wird vom Neuen Forum ein Kontaktbüro in Quedlinburg eröffnet. Was jeden Tag, ab nächste Woche, geöffnet sein wird. Nachmittags. (Beifall) Dieses wird dann in der Nikolaikirche sein, da kann man sich Informationen holen, da kann man Kontakt aufnehmen und was einen bewegt sagen. Des weiteren stelle ich jetzt an Sie die Frage. Möchten sie nach diesem Abend eine Demo in Thale? (Beifall) Und jetzt möchte ich die Gegen­probe. (Stille) Zu der Demo sage ich dann noch was, bevor wir nach draußen gehen. Jetzt möchte ich einen Teil einleiten, wo wir versuchen, eine . . . Es ist ein bißchen unruhig. . . . wo wir versuchen, eine Diskussion in Gang zu kriegen. Es ist hier ein Mikro, dort vorn wird ein Mikro runter hängen oder oben sein. Und draußen ist auch ein Mikro. Wir fan­gen jetzt mal hier drinnen an. Wer etwas sagen möchte oder eine Frage stellen möchte,  kommt bitte ans Mikro. (Eine Männer­stimme: Wir haben schon den ersten.) Ja dann bitte mit dem ersten.

 

Kerstin Krause: Ich möchte mich erstmal vorstellen, ich heiße Kerstin Krause und arbeite hier in der Jugendherberge. Also bin praktisch in meiner beruflichen Tätigkeit von den örtlichen Organen abgegrenzt. Ich wohne allerdings vier Jahre hier in Thale. Einerseits glücklich, anderseits nicht glücklich und . . . muß ich jetzt das Mikrofon aufessen? . . . und eigentlich haben grade diese Beiträge hier vorne meine Zustimmung gefunden, ein großer Teil jedenfalls. Ich möchte mich dieser Werbekampagne nicht anschließen und möchte eigentlich sagen worüber ich sehr, sehr enttäuscht bin. Das ist einerseits, ich bin Atheist und es stimmt mich schon traurig, daß ich hier von diesem Rahmen herunter sprechen muß. Ich war bestimmt schon seit zehn Jahren außer zu  dieser Ausstellung, Fotografie-Ausstellung, nicht hier in der Kirche mehr gewesen. Und habe heute zu diesem Anlaß das erste Mal wieder in solche Räumlichkeiten gefunden. Mich stört  - und stimmt weiterhin traurig: Gestern hat eine Versammlung bei Rat der Stadt stattgefunden. Mein Mann ist Genosse und er ist aus dieser Versammlung herausgekommen und hat sich geäußert, was ich von ihm überhaupt nicht kenne: Das ist ein konservativer Haufen.

Und daß, es war bis zur letzten Versammlung gestern, jedenfalls zu Anfang der Versammlung, nicht möglich, die Leute zu agitieren, daß sie sich der Bevölkerung stellen. Vielleicht nehmen sie das nicht für voll, obwohl unser Bürgermeister, muß ich sagen, die besten Voraussetzungen dafür hat. Man kann ihm nichts unterstellen, er hat neu angefangen. ... (die Kassette ist hier zu Ende. Weiter geht es so)  . . . Da sind die Jugendlichen, die hier in Thale leben oder lernen, in diesem Eisenhüttenkombinat oder sonstwo – die ihre Freizeit entweder im Hirschgrund verbringen müssen oder im Jugendclub zu 80 Personen – für Siebentausend Beschäftigte im Eisenhüttenkombinat - und denen man es nicht verübeln kann, daß sie hier rumrandalieren. (Beifall)

Es geht weiter um die Arbeitsbedingungen in diesem alten Hüttenkombinat, um die Arbeitsbedingungen eines jeden einzelnen in den Verkaufsstellen und um die Arbeitsbedingungen unserer Ärzte, die zum Himmel schreien. Sie können sich die größte Mühe geben und unter großem Kraftaufwand,  unter Ehebruch, weil sie eben im Prinzip die meisten Überstunden lei­sten und können trotzdem unsere Kinder, die unter diesen Umweltbedin­gungen zu leiden haben, und wir selber das nicht packen. (Beifall) Ich . . das ist nur ein Anstoß zu den Fragen, ich muß hier weitergeben, denn hier haben noch eine ganze Menge andere Fragen, aber vielleicht dürfte ich hier die Werbung weitermachen, doch den Leuten beim Rat der Stadt zei­gen, daß nicht nur 50 Mann am Sonnabend kommen. (Eine Männerstimme: Danke. Beifall)

Ein Mann: So, für die Leute, die bleiben, um meinen Namen aufschreiben, ich sage es gleich: Moser, Heinz. (Gelächter, Beifall) Ich warte jetzt 36 Jahre auf den Tag, wo ich jetzt stehe. (Beifall) Ich habe vor 36 Jahren, der 17. Juni. Das war auch ein schöner Tag. Der war in Magdeburg. Da haben wir auch dasselbe getan wie ihr hier. Bloß mit dem Unterschied, daß wir da von Panzer und Infanterie beschossen wurden. Ich betone das. Wer es nicht glaubt, kann zu mir mal kommen, dem sage ich es extra noch mal. Das war vor 36 Jahren, das muß man sich mal vorstellen. So lange halten wir hier schon stille und gehen und gehen nach der Arbeit. Machen unsere Arbeit, so wie sich das gehört. Und was ist bei heraus gekommen, jetzt sehen wir es. Das hätte man vor 36 Jahren schon haben können. (Beifall) Vor allen Dingen möchte ich das mal betonen. Die Tage nach dem 17. Juni, die waren dann natürlich herrlich für uns, ja. Der Staatssicherheitsdienst, ich weiß nicht, ob ihr den kennt? Doch! (Gelächter). Schöner Haufen, schöner Haufen. Ich will nicht soviel sagen, es wurde gesagt, wir sollen ja die Herrschaften nicht angreifen. Ich möchte sie auch nicht angreifen, ich könnte sie vernichten auf deutsch gesagt. (Beifall)

Das ist die Methode, die sie vorgesehen haben. Aushorchen, unten drunter war der Apparat zum Abhorchen und anderen Tag in die Zeitung. Dann stand´s da. Das ist die SED, so wie sie leibt und lebt. (Beifall) Auf den Tag habe ich mich bloß gefreut heute hier zu stehen und jetzt kommt die nächste Frage. Ich mache kurz jetzt. Wir haben bald mal wieder ne Wahl, hoffentlich bald. Und dann . . .  ne nicht doch ohne uns, wir müssen da hin gehen, aber mit einem Zettel drauf, wo bloß zwei oder drei Parteien drauf stehen, die wir mal wählen können. Und nicht nur dies Stück Lappen darin stecken in den Kasten. (Beifall) Aber trotzdem möchte ich mich noch mal bedanken hier bei der Kirche, daß sie das hier veranstalten, das hier so, daß wir es vollziehen konnten. Ich möchte hier Schluß machen, weil noch mehrere sprechen wollen. Also macht´s gut. (Gelächter, Beifall)

Ein anderer Mann: Ich hätte noch eine Frage, können sie gut verstehen, wenn ich hier so spreche? (Ja Rufe) Ich wundere mich immer, ich bin zwar noch nicht sehr alt, bin noch nicht im Rentenalter. Bin zwar schwerbeschädigt durch mehrmalige Operationen. Und wie ihnen bekannt ist, werden sie wahrscheinlich die Unterschiede innerhalb, das heißt zwischen Renten von der BRD und unserer DDR, sicher einen gewaltigen Unterschied, kennen. Warum? Denn wir haben ja, gleich, wie alt wir sind, die nach dem die Rente empfangen muß, durch eine Krankheit oder durch einen Unfall u.s.w.. Warum der Unterschied, das frag ich mich? Wir arbeiten doch genauso wie die anderen, vielleicht mitunter noch mehr. Und unser (Im Hintergrund ist eine Frauenstimme zu hören. Der Mann hört ihr zu) Habe ich mich vielleicht falsch ausgedrückt? (Nein-Rufe, Beifall)

 

Eine Frau: Mein Name ist Rienäcker, Renate. Ich habe ein schwerbeschädigtes Kind von 16 Jahren. Meine Tochter stellt die Frage, ich möchte gern zur Disko gehen. Nun frage ich alle, was wird in Thale dafür getan, daß ein schwerstbeschädigter Bürger anerkannt wird? Gar nichts. 90 Mark Pflegegeld, vier Stunden in der Tagesstätte eingepfercht, das ganze Wochenende mit den Eltern zusammen. Vom Eisenhüttenwerk haben wir die Antwort bekommen, schwerbehinderte Kinder können nicht mit ins Ferienlager. Warum, weil meine Tochter medikamentenabhängig ist. Nun frag ich, warum sind nicht genügend Ärzte hier vorhanden, die ein schwerstbeschädigtes Kind mit ins Ferienlager nehmen. (Beifall)

 

Eine andere Frau:  Weil gerade von Sozialmaßnahmen die Rede ist, möchten wir auch noch ein Wörtchen dazu sagen. (Eine Männerstimme: Bitte lauter.) Wir Jungen können uns über Sozialmaßnahmen nicht beklagen, darauf pocht ja unser Sozialstaat. Aber was ist mit den Leuten, die uns das hier alles geschaffen haben? Nichts, gar nichts. Mit 320 Mark Mindestrente nach Hause gehen? Das sind Bedingungen, (Beifall) mit denen kommt keiner mehr aus. Die müssen in Buden wohnen, die total menschenunwürdig sind. Und unser Feierabend- und Pflegeheim, in dem ich arbeiten muß. Also, was heißt muß, das ist vielleicht falsch ausgedrückt. Das ist ein Beruf, der mir Spaß macht. Aber wenn ich die alten Leute nur noch abfertigen muß, weil kein Personal da ist, weil kein Fahrstuhl genehmigt wird und und und. Die wohnen da unten, ich meine,  ich möchte da keinen alten Menschen mit ruhigem Gewissen sagen, also gehen sie doch ins Altersheim, da sind sie gut versorgt. Da sind sie abgeschoben. (Beifall)

 

Hartmut Berger: Wie wärs denn in dem Zusammenhang, wie die junge Frau eben sagte, das spricht uns ja wohl allen aus dem Herzen,  wenn die jungen Männer im Krankenhaus ihren Zivildienst ableisten könnten. (tobender Beifall)

 

Horst Dombrowsky: Ich möchte auch noch mal was dazu sagen, und zwar zum Thema staatlicher Leiter. Es könnte ja jetzt jemand auf den Gedanken kommen, daß das mein Steckenpferd ist. Das ist nicht so. Ich bin beschäftigt in den Harzer Werken in Blankenburg und bin dort für die Inventuren zuständig. Gibt’s nicht ohne Bilanzanteile. (Gelächter, Beifall) Ich möchte beginnen von ganz oben. Der Betriebsdirektor der Harzer Werke ist ein Typ wie Stalin gewesen ist. Das ist nicht übertrieben, das ist die Wahrheit. Für diesen Menschen haben bis letzte Woche alle gebuckelt. Bevor diese große Ausreisewelle in der DDR begann, habe ich eine Eingabe gemacht an den FDGB - Bundesvorstand über Mißstände im Betrieb, also über Schlampereien. Angefangen vom Betriebsdirektor bis hin zu den Fachdirektoren. Dort ist also Material vergammelt, nicht nur kiloweise, sondern gleich tonnenweise. Ich habe dort die Frage aufgeworfen: Wer das bezahlen soll? (Im Hintergrund kommen Rufe, wie: Wir -  wer sonst.) Die Freunde im Betrieb sind unheimlich angewachsen. Ich habe mir nichts daraus gemacht, ich habe weiter geforscht in den einzelnen Abteilungen. Dort ist noch mehr zutage getreten. Zum Beispiel: Daß sich dieser Betriebsdirektor angemaßt hat,  im Betriebsferienheim ein ganzes Zimmer für sich, über Jahre, zu sperren. Er ist dort hingefahren und hat dort seinen Urlaub verbracht. Ja. Im Nachgang hat es eine Aussprache gegeben zwischen dem Bundesvorstand des FDGB und der BGL und mir. Die Diskussion hat mehrere Stunden gedauert. Ich habe nicht locker gelassen. Es hat auch Erfolg gehabt. Dem Betriebsdirektor wurde das Zimmer gekündigt. Ja. (Gelächter) Es ist positiv zu bewerten, daß die BGL in dieser Richtung mitgezogen hat, denn für 16 Familien im Jahr besteht jetzt die Möglichkeit, also zusätzlich diesen Platz zu nutzen. Also, ihr seht (Beifall) Kritik von unten nach oben lohnt sich immer. (Beifall)

Peter Knopf: Ich möchte gern abschließend noch eine kleine Sache von voriger Woche Donnerstag erzählen. Und zwar in Quedlinburg war doch diese Großveranstaltung und da hatte der Bürgermeister von Quedlinburg eigentlich vor hinzugehen. Aber der Vorsitzende des Rates des Kreises behielt ihn lieber im Rathaus, und sagte ihm, daß er dort nicht hingehen darf. Das ist Wahrheit, das ist kein Witz. Das ist ein offener Dialog. (Bei­all)

Frank Rumpel: So sind wir jetzt schon zu Ende? Nein, nein. So liebe Leute, ich komme von der Volksbildung. Wir hatten den neuen pädagogischen Kongreß, der hat letztendlich gar nichts gebracht. Wann bekommen wir denn in der Volksbildung endlich neue Bildungsinhalte für uns Lehrer und für die Schüler? (Beifall) Ich denke zum Beispiel bei solchen Fragen des Sexualverkehrs. Wer weiß denn bei uns schon so genau über AIDS Bescheid? Gar keiner. (Beifall)

Peter Knopf: So, also wir hatten uns ja noch etwas vorgenommen für heute Abend.

(Jemand spricht dazwischen und sagt. Augenblick mal. Ein anderer Mann spricht am Mikro.) Ich habe mal eine Frage an das Publikum. Erstens glaube ich nicht an Gott. Zweitens glaube ich nicht an Egon Krenz. (Gelächter, Beifall)

Ein Mann: Mein Name ist Harald Lüddecke und ich wohne in Thale und möchte ein paar Worte zu dieser Veranstaltung sagen. Es ist für mich beeindruckend, wie  im Rahmen dieser Kirche die Veranstaltung bisher gelaufen ist. (Eine Männerstimme ruft: Warte doch mal. Du müßtest uns mal aussprechen lassen hier. Der vorherige Mann spricht weiter.)

Mann: Ich habe gesagt, ich glaube nicht an Gott und nicht an Egon Krenz. Zweitens. Seit vierzehn Tagen diskutieren wir hier über den friedlichen Dialog. Letztendlich muß ich mal sagen, wo bleiben die Tatsachen. Wir können diskutieren und sprechen. Fakt ist letztendlich, unterm Bruchstrich kommt raus, was an Tatsachen abzurechnen ist. Drittens. Ich war der Meinung, daß wir zu diesem Forum einen Verantwortlichen des Rates der Stadt treffen. Für mich ist es bedauerlich, daß hier Häuser Gottes verwendet werden, weil staatliche Einrichtungen nicht in der Lage sind, Klubhäuser oder anderweitige (Beifall)  Einrichtungen zu nutzen und solche vorzuführen. Viertens. Ich bin überzeugt, wenn wir am Samstag zum Rat der Stadt gehen, daß keine, nehme ich an tausendfünfhundert oder zweitausend untergebracht werden können. Ich bitte darum, daß größere Einrichtungen dafür eingerichtet werden. Danke. (Beifall)

Harald Lüddecke: Ich möchte mich wiederholen. Ich bin beeindruckt von dieser Veranstaltung im Gotteshaus heute Abend. Ich hab damit nicht gerechnet, daß in Thale so schnell so etwas auf die Beine zu bringen ist. Und danke hiermit auch dem Veranstalter. Ich möchte allen Anwesenden folgendes zu bedenken geben: Wenn wir heute von Dialog reden, dann meinen wahrscheinlich alle, ein Großteil hier in der Kirche es ernst. Ich weiß aus persönlicher Überzeugung und glaube es zumindestens zu wissen, daß viele Menschen in der DDR heute von Dialog reden. Sei es in öffentlichen Ämtern, in Betrieben, in Partei und Staatsapparat. Daß sie im Prinzip nur als Vorwand benutzen dieses Wort, um zu beschwichtigen,  zu kanalisieren. Ich möchte alle auffordern, in der Zukunft solche Veranstaltungen viel stärker noch zu nutzen. Ich bin mir vollkommen sicher, daß zum Beispiel in den örtlichen Organen hier in der Stadt Thale viele fähige Menschen von uns auch gewählt wurden, und das betone ich, dieses Wort Wahlen. Die im Prinzip keine war. Aber es gibt dort Leute, die ehrlichen Herzens ihre Arbeit verrichten. Ich denke an so einen Mann wie Stollberg. Der genau seine Arbeit macht, wie er es als Abgeordneter der Stadt Thale macht. Machen soll und muß. (Beifall) Ich bin mir auf der anderen Seite durchaus bewußt, daß überall in den Funktionen des Staatsapparates, in den Machtfunktionen, die Leute sich kein Stück gewandelt haben, die uns heute den Dialog predigen. Die uns einladen zu irgendwelchen Foren in Betrieben und Rathäusern dergleichen . Die immer noch nicht begriffen haben, daß es hier nicht geht um irgendwelche Retuschen und Korrekturen vorzunehmen, daß es darum geht, einen ganzen Staat zu wandeln. (Beifall)

Ich weiß eins, wenn wir uns einlullen lassen von einer Dialogbereitschaft von Menschen, die vor vier oder sechs Wochen von diesen engagierten Menschen des Neuen Forums, von den Menschen, die auf die Straße ge­gangen sind, demonstriert haben, die Polizeieinsätze mitgemacht haben. Wenn wir nicht dadurch drücken, dann wird das alles im Sande verlaufen. Das ist meine feste Überzeugung. (Beifall) Zum Schluß noch ein paar Worte zu dieser Stadt Thale. Im Prinzip sollte es für heute Abend kein Diskussionsthema sein, wir kennen die kaputte Infrastruktur der Stadt Thale. Vor drei Jahren hatte ich eine Aussprache mit dem damaligen Bürgermeister, im Beisein des Kollegen Findeisen von der Plankommission, Busse vom FDGB: Ich bin entnervt nach ein paar Stunden gegangen. Habe gedacht, ich bin im Paradies. (Gelächter, Beifall) Wir alle können uns doch damit nicht abfinden, daß werktätige Frauen des Eisenhüttenwerkes  Thale sich morgens um sechs anstellen in einer Art und Weise um die Grundnahrungsmittel für die Familie anzuschaffen. (tosender Beifall) Ich muß noch mal betonen, wir haben 40 Jahre Aufbau des Sozialismus im Frieden gehabt, und wenn uns dann die Leute, die für Handel und Versorgung verantwortlich sind, in den Zeitungen vorbeten, was sie alles getan haben, da muß ich erstmal fragen, was haben sie überhaupt getan? (Beifall)

Horst Dombrowsky: Danke. Kleinen Moment bitte.

Peter Knopf: Ich glaube, das könnte die ganze Nacht noch so weitergehen. Aber für den heutigen Abend müssen wir ganz einfach einen Schlußstrich ziehen. Wir haben ja noch vor, ein Stück zu laufen, gemeinsam oder vielmehr zu demonstrieren. Einer anderer Mann ruft. Peter. Ich kann hier zusammenfassend für alle . . .  .

Feldmann: Können wir eventuell noch erfahren  wann wir eine ähnliche Versammlung haben?

Peter Knopf: Ja das kommt jetzt alles, dazu wollte ich noch kommen. Bernd bitte . . .

Bernd - Michael Hoffmann: Ja ich wollte grundsätzlich Stellung nehmen, was die Redner vorher gesagt haben. Rosa Luxemburg, man höre, die vor 70 Jahren ermordet worden ist, schreibt zu Demokratie: Demokratieverständnis, wie man Demokratie erarbeiten kann. Ich zitiere: Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, Frei- und Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben. Indem die Demokratie das Alleinige, das tätige Element bleibt. Das öffentliche Leben schläft ein bißchen, einige Dutzend hervorragender Köpfe und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten um dem Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen; im Grunde eigentlich eine Cliquenwirtschaft. Eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker, daher Diktatur im rein bürgerlichen Sinne. Ja noch weiter: Solche Zustände müssen eine Verwilderung des öffentlichen Lebens zeitigen, das ist ein übermäßiges objektives Gesetz, dem sich keine Partei zu entziehen mag. Und das erleben wir heute. (Beifall)

 

Peter Knopf: Nun ist aber wirklich Schluß. Ganz kurz von mir noch. Er sagte Dank an den Veranstalter. Es gibt hier eine ganze Reihe von Veranstaltern, ihr gehört alle dazu, wird euch das langsam bewußt? Dann als nächstes. Die nächste Veranstaltung ist heute in einer Woche und wir nehmen dankend den Vorschlag an, das in der katholischen Kirche zu machen, weil sie größer ist. Also . . . (Beifall) . . . also, das ist der 07.11.1989, 19.30 Uhr in der katholischen Kirche, unten am Museum da.

Dann liegt uns noch was ganz Großes am Herzen. Und zwar ist das der Aufruf zu Gewaltfreiheit bei der jetzigen Demonstration und Gewaltfreiheit überhaupt. Bitte, falls irgendwas sein sollte, lassen sie sich nicht provozieren, gehen sie ruhig mit uns mit und denken sie drüber nach, was alles kommen wird und was ist. Wir werden jetzt noch Kerzen austeilen, die dann jeder mitführen kann. Den Weg . . . halt, halt, halt ganz wichtig ist der Weg, weil die liebe Polizei schließlich die Straßen absperrt, die wir gehen dürfen, daß kein Fahrzeug uns behindert. Wir laufen von hier die Stecklenberger Straße lang, die Kurt-Dillge-Straße dann runter, die Wotanstraße dann entlang, Eisenbahnstraße bis zum Rathaus und am Rathaus (Beifall). Am Rathaus trennen wir uns dann erstmal alle. Halt, halt, geht doch nicht gleich alle, es gibt vielleicht noch etwas. Hier möchte noch jemand was sagen.

Frau Meckel: Ich möchte bevor wir uns auf den Weg machen, auf den friedlichen Weg wohlgemerkt, ihnen noch ein paar Erinnerungen auf den Weg der Erneuerung mitgeben. Und bitte sie herzlichst, diese zwei . . . eine Pause auf der Kassette : : : nicht wieder von Angst gefangen nehmen, sondern bleibt bei der hilfreichen Wahrheit. Zweitens.   . . .

 

Hier endet die Kassette.

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